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Lina – Triggerwarnung Sternenkind

von | Aug 18, 2019 | Geburt

„Erst jetzt, sechs Wochen nach Linas Geburt, schaue ich mir die Fotos von Lina richtig an. Chiara hatte sie uns gleich am nächsten Tag geschickt. Ich hatte sie dann auch durchgeguckt, aber das alles war noch so unreal. Jetzt sehe ich, ihre kleinen Arme an. Sehe, dass ihr Mund ein wenig offen ist. Und ihre Augen geschlossen. Ich wünschte ich hätte sie noch mehr angesehen, als ich noch die Möglichkeit dazu hatte. Aber alles ging so schnell. Lina ist schon beerdigt. Aber ein Teil von ihr ist noch hier, dank dieser Fotos. Sie ist für immer in meinem Herzen, aber so habe ich auch die Möglichkeit sie immer wieder zu sehen. Und auch einen Beweis zu haben, dass sie wirklich da war. Etwas mehr als nur den Schwangerschaftstest mit zwei Streifen.

Manchmal kommt mir das so vor als hätte ich das alles nur geträumt. Bis zur 14. Schwangerschaftswoche war alles gut. Dann erfahren wir bei der Vorsorgeuntersuchung, dass unser Baby keinen Herzschlag mehr hat. Missed abortion. Es trifft uns wie ein Schlag, wir haben überhaupt nicht damit gerechnet, dass so etwas jetzt noch passieren kann. Wir müssen ins Krankenhaus für eine richtige Geburt. Eine stille Geburt. Als wir dort im Wartezimmer sitzen, schreibt eine Freundin für uns eine Nachricht an dein-Sternkind. Das ist eine Organisation aus Fotografen, die Sternenkinder fotografiert und den Familien damit ein besonderes Andenken an ihre Kinder schenkt. Schon zehn Minuten später bekomme ich von ihnen einen Anruf von ihnen. Ich fühle mich ein bisschen komisch. Habe ich überhaupt schon das Recht dort anzurufen? Ich habe noch keine Vorstellung, wie mein Kind überhaupt aussehen wird nach der Geburt. 10 cm soll es groß sein laut der Schwangerschaftsapp. Ich frage die Frau am Telefon nervös, ob sie so früh überhaupt schon Fotos machen. „Natürlich.“ sagt sie als wäre das überhaupt gar keine Frage. Mich erleichtert das so sehr, denn ich hatte das Gefühl ich darf gar nicht so trauern, wie eine Mutter, die ihr Kind in einer späteren Schwangerschaftswoche verliert.

Das Recht zu trauern. Schon merkwürdig, dass ich mir das erst einräumen muss. Wer hat eigentlich das Recht dazu? Nur ganz nahe Verwandte? Und ab wann? Je sichtbarer, desto mehr Trauer ist erlaubt? Unser erstes Baby ist auch nur kurz geblieben. Bis zur siebten Schwangerschaftswoche. Noch viel weniger sichtbar. Und ich hatte hier umso mehr das Gefühl „ich sollte mich nicht so anstellen“. So früh passiert es doch ganz oft. Jede zweite oder dritte Schwangerschaft endet in einer Fehlgeburt. Mein damaliger Arzt, den ich danach gewechselt habe, hat es einfach nur kommentiert mit: „Die Schwangerschaft hat sich verabschiedet.“ und mich damit nach Hause geschickt. Ich wusste im ersten Moment gar nicht, was er damit meint. Gedanklich war ich schon dabei das Kinderzimmer einzurichten, mir vorzustellen, wie mein Partner liebevoll meinen Bauch streichelt und eine tolle Reise während der Elternzeit zu planen. Wir hatten uns schon so auf dieses Baby gefreut.

„Du wirst bestimmt ganz bald wieder schwanger. Jetzt weißt du ja, dass es klappt.“ Ja, ich hatte Angst, vielleicht gar kein Kind bekommen zu können. Und ich bin dann auch schnell wieder schwanger geworden. Mein Sohn, für den ich über alles dankbar bin, ist heute zwei Jahre alt. Trotzdem war ich traurig über genau dieses Kind, was ich verloren hatte. Ich habe heimlich viel geweint und bin am nächsten Tag wieder arbeiten gegangen, weil ich ein Seminar zugesagt hatte. Das würde ich heute zum Glück nicht mehr so machen. Ich erinnere mich noch wie oft ich auf der Hoteltoilette war, weil ich so starke Blutungen hatte. Immer mit der Frage: Merke ich eigentlich, wenn das Kind rauskommt? Kann man was erkennen? Ich habe nichts gemerkt, es war einfach nur viel Blut. Aber ich bin dankbar, dass es alles ganz von alleine ging und ich nicht ins Krankenhaus musste.

Als meine Schwester zwei Jahre später auch eine Fehlgeburt hat, habe ich viel mit ihr geweint. Und ich habe das Gefühl, ich habe auch für mein erstes Kind noch einmal mitgeweint. Da konnte ich richtig trauern. Ich konnte ihr die Trauer zugestehen und habe sie ermutigt sich das alles zu erlauben. Und dadurch konnte ich auch heilen. Egal, ob siebte oder 14. Schwangerschaftswoche, ich war genauso traurig. Eine Freundin schrieb mir vor ein paar Wochen: „Ich habe heute mit meiner Ärztin darüber gesprochen und sie sagte es macht wohl keinen Unterschied beim Schmerz, ob siebte oder 36. Woche. Aber man erwartet es halt nicht mehr so.“

Früher wussten die Frauen zu dieser Zeit meist noch gar nicht, dass sie schwanger sind. Den Satz habe ich auch öfter gehört. Sind die Menschen früher tatsächlich besser damit umgegangen? Weil es für sie ganz natürlich war? Ich glaube nicht. Ja natürlich ist es etwas ganz Natürliches. So wie der Tod es immer ist. Aber ich glaube die Frauen waren genauso traurig. Sie haben es sich nur nicht erlaubt. Die Generation, die völlig vom Krieg traumatisiert war, hatte im Allgemeinen gar keine Zeit für Trauer. Sie haben ja auch die anderen schlimmen Dinge, die vielen von ihnen passiert sind, nicht wirklich verarbeitet. Würde man heute einem Arzt erzählen, dass man so etwas erlebt hat, würde er einem sofort eine Therapie nahelegen.

Und ich glaube die meisten Frauen haben damals, vor den Zeiten wo es Schwangerschaftstests in der Drogerie gab, auch schon früh von ihrer Schwangerschaft gewusst. Die Periode bleibt aus, die Brüste spannen und der Körper wird von Hormonen überflutet. Das konnten die Frauen auch schon deuten. Ganz abgesehen von dem Gefühl, welches Frauen dann oft einfach haben. Deswegen finde ich, diese Argumente nach dem Motto „früher war es auch nicht so schlimm“ zählen nicht. Ich stimme zu, dass wir einen natürlicheren Umgang mit dem Thema Tod brauchen. Aber das heißt für mich nicht, dass wir nicht mehr trauern sollten. Trauer gehört zum Sterben dazu. Vielleicht müssen wir sogar das Trauern erst wieder lernen.

Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung wie das geht. Wo ist die 5 Schritte-Checkliste, die einem sagt, wie das geht? Eine Woche nach der stillen Geburt sind wir in den Urlaub nach Barcelona gefahren. Wir hatten lange überlegt, ob es schon das Richtige ist und haben uns dann entschlossen zu fahren, weil wir dachten es wäre gut rauszukommen. Wir hatte das schon lange geplant, zusammen mit unseren besten Freunden, die uns in dieser Zeit auch alle ganz nahestanden. Der Urlaub hat so etwas wie einen Cut gebracht. Weg von dem Thema Trauer. Rein in das volle Leben. Vier andere Kinder waren mit dabei und so war immer Leben in der Bude. Als wir wiederkamen, war tatsächlich alles anders. Die Geburt gefühlter Weise schon lange her. Ich hatte gar keine richtige Verbindung mehr zu Lina. Als ob das gar nicht uns passiert wäre. Fast als hätte ich nur einen Film geguckt. Nur begleiten mich seitdem starke Kopfschmerzen. Ich habe fast das Gefühl sie fingen genau da an, als wir wieder in Berlin gelandet sind.

Kopf hoch, das Leben geht weiter. Selbst als ich wollte, ich konnte gar nicht mehr weinen. Da war nichts mehr. An das Gefühl kam ich gar nicht mehr ran. Keine Tränen mehr da. Aber gleichzeitig hatte ich auch keine tiefe Verbindung zu Lina mehr. Als wir wieder an ihrem Grab sind, bin ich verwundert, weil ich fast gar keinen Schmerz mehr fühle. Dafür habe ich umso mehr Kopfschmerzen, die einfach nicht besser werden. Zuerst bringe ich das gar nicht in Verbindung. Ich schiebe es höchstens auf die Anspannungen während der Geburt, die sich im Körper verfestigt haben. Aber dann bekomme ich durch Hope´s Angels das Buch „Trauernde Eltern“ von Nathalie Himmelrich geschenkt. Ich habe keine Lust es zu lesen, fühle mich nicht angesprochen und blättere nur darin rum. Ich trauere doch nicht mehr. Doch dann fällt mir dieser Absatz auf, in dem sie über physische Reaktionen auf Trauer schreibt. An erster Stelle Kopfschmerzen. Es heißt dazu: „Körperliche Schmerzen können der durch die Trauer generierten Energie ein Ventil bieten. Die meisten Menschen erlegen eines oder mehrere körperliche Symptome, andere wieder erleben Trauer sogar überwiegend über physische Reaktionen. Wie schon vorher angeführt, sind körperliche Reaktionen nur eine Möglichkeit und weder besser noch schlechter als emotionale Reaktionen.“

Sollten meine Kopfschmerzen tatsächlich Trauer sein? Ich schaue mir die Bilder noch einmal ganz intensiv an. Auf einmal kann ich die ganze Schönheit darin sehen. Trauer, wenn ich sie zulasse, hat auch etwas Schönes. Etwas ganz Reines, finde ich. Sogar etwas Reinigendes. Es gibt mir eine tiefe Verbindung zu meinem Herzen. Erinnert mich daran, was wirklich wichtig ist. Ich spüre so viel Liebe und bin unglaublich dankbar für meinen wunderbaren Sohn. Nie vergesse ich den Moment, als wir mit ihm das erste Mal beim Kinderarzt waren zur U2 und der Arzt nach der Untersuchung sagt: „Ein kerngesunder Junge“. Manchmal, wenn er im Bett neben mir gekuschelt liegt, streichele ich ihm durchs Haar und wiederhole voller Dankbarkeit diesen Satz.

 

-Wenn ich mir die Fotos ansehe, fühle ich auch noch mehr Liebe zu meinem Mann. Sie sind eine Erinnerung daran, dass wir das zusammen geschafft haben. Alle Höhen und Tiefen. Wie stark wir sind. Danke Chiara, für deinen Mut ins Krankenhaus zu kommen und die Bilder zu machen. Ich hatte mich nicht getraut dich zu fragen und war so froh, als du es von dir aus angeboten hast. Ein Foto von Lina steht jetzt auf meinem Schreibtisch. Und tatsächlich werden meine Kopfschmerzen jetzt von Tag zu Tag besser.

Wer mehr über die Geburt von Lina erfahren möchte, kann die Geschichte hier lesen. Auf meiner Website findet ihr auch meine Kontaktdaten. Falls ihr vielleicht auch ganz akut betroffen seid und mehr Fragen habt oder Bilder sehen möchtet, könnt ihr mich gerne auch direkt per Whatsapp anschreiben. Und über Nachrichten und Austausch freue ich mich auch sehr.“

                                                                                                                                                                                                -Lena

 

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